19. Mai 2001
Nach dem Film: Cinema Paradiso, Giuseppe Tornatore
oder Liebe im Kino

Der Faden wird sanft gehalten bloß von den Fingerspitzen. Der Film gibt mir, der Zuschauerin, die Zärtlichkeit die im Augenblick liegt und sich durch den ganzen Film zieht zurück. Er berührt und man läßt es gerne geschehen, unaufhaltsam umschmeichelt von den Bildern und Worten wird man zum Teil der Geschichte, von Liebe und Sehnsucht, Erfüllung und Verlust. Der Notwendigkeit die Jugend an einem anderen Ort zu beenden ohne sie zu verlieren.
Ein Teil der Vergangenheit, der dennoch nicht verloren in uns bleibt. Er erinnert uns auf behutsame Weise, dass alles was wir waren immer noch in uns ist.  Gleichsam ermutigt mit der Handlung, auf langen Strecken immer wieder zurück zu gehen. Ohne von Zeit zu Zeit zurück zu gehen, gibt es keine Zukunft, in der wir ganz sein können.
Dieser Film erinnert auch daran, daß es notwendig ist sich zu trennen wenn die Welt die wir kennen zu klein für uns geworden ist. Manchmal lösen wir uns schon ohne das es uns bewußt wird.
Man möchte jedem einen Freund wie Alberto wünschen, unaufdringliche Weisheit die einm hilft die Schilder an der Weggabelung zu lesen.
Einen Freund der einen besser kennt als man sich selbst erkennt. Der Irrungen geschehen läßt und einem ein Märchen erzählt, von dem er sagt, das er es selbst nicht versteht und das wir ihm später erklären könnten, weil wir dem Märchen gefolgt sind.
Das ist Ermutigung zum Träumen.
Und es ist auch ein Film, der vom Kino erzählt, daß Träume bot denen man folgte, lachend und weinend und still, bis zum Wort: Ende. Ein Kino das noch Ereigniss war und der Fimvorführer der Magier, der seine Kunst im Verborgenen ausübte. Das Kino der dreissiger Jahre in Italien.
Ein Kino in dem man lacht und weint, ein Film in dem man sein darf was man wünscht, ein Held im Alltag, im Kleinen, groß und wichtig.
Er lenkt unseren Blick auf das kleine Alltägliche. Die Schläge einer Mutter und man glaubt dem Erzähler Giuseppe Tornatore, das die Mutter nur das Beste will. Sie ist keine große Heldin und darf Fehler machen ungerecht sein, darin wird sie zur Heldin, menschlich, leidend, liebend.
Ganz Heldin ist sie in ihrer Großmut, in ihrem großen Mut, die 30jährige Abwesenheit des Sohnes, mit wenigen Worten, wie Brotkrumen, von einer imaginären Tischdecke zu wischen, daß ist der Augenblick, in dem das Publikum im Kino, ganz ihr gehört.
Der Stoff der uns berührt und wir merken kaum wie sanft der Film unsere verstimmten Saiten wieder stimmt.
Ein Film den man als besserer Mensch verläßt.

Am Ende wird der Faden aufgeribbelt, ein weißes Strickzeug, ein Bäbyjäckchen vielleicht, bleibt achtlos im Sessel liegen. Die Mutter geht durch das Haus hinunter in den Garten, wir sehen sie nicht gehen, wir sehen wie das Strickzeug sich aufribbelt und wissen das der Faden sich an die Mutter geheftet hat. Wir sehen sie ankommen unten im Garten, am Tor.
Wir verstehen das dies der rote Faden ist, der gesponnen und weiter gesponnen wird. Wir sehen den Anfang nicht, aber wir sehen ein Stück und erkennen das Ganze.
Das ist der Faden der uns seit dem Beginn des Filmes begleitet, in der ersten Szene ist es eine Telefonschnur.

Es ist auch ein Film, der von der ersten Liebe erzählt und von den Verrücktheiten zu denen wir fähig waren.  Mut hatten ganz zu lieben und darin konnten wir nie lächerlich sein, es gab noch nicht die Angst davor und der Geschmack von Verlust war uns noch fremd
Irgendwann erwarben wir dann, Angst vor der Lächerlichkeit. Der Unfähigkeit Liebe zu zeigen, sie in Worten zu sagen, Blicke und Hände sprechen machen, die Angst weil das alles schon einmal da war, auch im Kino und dort immer mit der richtigen Beleuchtung, der richtigen Musik, den richtigen Gesten und übergroß. Wie Widerholungen kommt es uns vor, wenn wir lieben und sprechen und schweigen, in großen Gesten.
Ohne die richtige Beleuchtung, ohne Großaufnahme und ohne die richtige Musik.
Warum empfinden wir das als falsch und betrachten die Momente auf der Leinwand doch mit wohligem Schauer und Tränen in den Augen – vielleicht sogar neidvoll, denn diesen großen Bildern haben wir nichts entgegen zu setzen.
Wir übersehen den Held im Kleinen, im Alltäglichen, in uns.
Große Gefühle wirken echt auf der Leinwand und wir schrumpfen zur Statisterie und fühlen uns wie schlechte Schauspieler, die nacheifern. Die zweite Besetzung, die erst einspringt, wenn der Star verhindert ist.
Aber das Kino wäre leblos ohne uns. Wenn wir nicht liebten, leideten und lachten, wenn wir nicht leben, gäbe es das Kino nicht. Das Kino schreibt nur ab.
Wir können uns nicht von Außen sehen, deshalb kann das Kino so großartig sein, denn wir erkennen uns wieder.

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© 2001 Ilona Duerkop