19. Dezember 2001
Weihnachten der anderen Art VII

Gedanken zum Fest
          Peggy Wehmeier

Eigentlich glaube ich nicht an Gott. Mein Weltbild ist eher ein naturwissenschaftliches als ein religiöses. Ich glaube auch nicht an Götzen wie Konsum, Gewinn und Marktwirtschaft. Konsequenterweise dürfte ich dann allerdings nicht Weihnachten feiern. Weil mit Weihnachten alle diese Götzen und Gott gnadenlos - beziehungsweise gnadenbringend - bedient werden. Ich feiere es trotzdem. Gerne. Warum?
Weil ich mich Wochen vorher abhetze, um für Tante Friedchen, Onkel Hubert und meine mißliebigen Nachbarn Aufmerksamkeiten zu besorgen? Weil ich im November schon nachdenke, mit welchem Geschenk ich Kusine Doris am besten verärgern könnte? Weil ich jedes Jahr mit meiner Freundin Ariane in einen vorweihnachtlichen Dekorationswettstreit trete, bei dem ich sowieso den Kürzeren ziehe? ( in diesem Jahr hatten wir alles in creme - die Artikel vom letzten Jahr waren kupferfarben und somit nicht mehr zu gebrauchen)
Weil ich mein Haushaltsgeld eisern zusammenhalte und es deshalb vor Weihnachten dauernd Eier in Senfsauce und Reibekuchen gibt, damit ich die Wünsche der Kinder erfüllen kann? Weil ich Spiele wie Pokemon oder Tombraider, die ein Vermögen kosten und die ich abscheulich finde, schließlich doch für die lieben Kleinen besorge - um dann unter dem Tannenbaum zu hören, daß eben diese Spiele seit Wochen schon wieder uncool sind? Weil ich jedes Jahr von knirschendem Schnee am Heiligabend träume und mir Dauerregen beschert wird? Weil ich nach Weihnachten immer wieder eine Diät machen muß, um die zu Bauchspeck verwandelten Marzipankartoffeln und Printen wieder loszuwerden? Weil ich nach der Bescherung allein vor meinem Glas Wein sitze, während die Kinder in diese blöden Computerspiele vertieft und nicht ansprechbar sind? Und mir dann immer wieder statt heiliger Familieneintracht eine zünftige Christmas-Party mit Freunden wünsche? Das kann doch alles nicht wahr sein. Im diesem Jahr wird das alles anders, ich schwöre es.
Ich werde nicht mehr am langen Samstag stundenlang an den Kassen im Supermarkt warten und das Gefühl haben, ich hätte alles Wichtige vergessen. Ich werde mich zum Fest nicht mehr derart mit Lebensmitteln eindecken, als gäbe es nachher keine mehr. Und ich werde auch nicht mehr alle Räume der Wohnung farblich passend dekorieren, jedenfalls nicht so gestylt wie Ariane. Und die Nachbarn kriegen gar nichts, wenn sie nichts verdient haben. Und Doris kriegt auch nichts. Und ich werde auch nicht so viel essen, keine Stollen, keine Zimtsterne und keine Bratäpfel. Und Geschenke kriegen nur noch meine Kinder. Und Gefühlsduselei unterm Tannenbaum gehört dann der Vergangenheit an.
Vergangenheit. Ist es das, was den Zauber dieses Festes ausmacht? Ist es die Erinnerung an die Kindheit, in der es zu Weihnachten immer geschneit hat ? Sind es die Düfte der selbstgebackenen Kekse und der ausgepusteten Kerzen, die immer gleichen Arrangements aus roten Kugeln, roten Kerzen und grünen Tannenzweigen, die immer an derselben Stelle in der Diele hingen? Ist es die Erinnerung an die Vorfreude in der Adventszeit? Die Spannung, welches Bildchen sich in dem einfachen Papp-Adventskalender hinter romantischen Motiven, die mit Silberglitter verziert waren, verbarg? An den feierlichen Weihnachts-Gottesdienst in der Dorfkirche, die niemals festlicher wirkte als an diesem Tag? An den Heimweg am Heiligen Abend, an dem alles so wunderbar still, heilig und feierlich wirkte?
War es der Anblick des Weihnachtsbaumes, der mit gebügelten Lamettastreifen, bunten Kugeln, Naschwerk und echten Kerzen geschmückt war und mir als Kind in jedem Jahr den Atem verschlug? Waren es die Tränen in den Augen meiner Eltern, wenn ich ihnen wieder ein selbstgebasteltes Windlicht oder einen bunten Pappbilderrahmen schenkte? Oder war es das Festessen, daß nur zu Weihnachten am Tisch im Wohnzimmer und nicht in der Küche stattfand? Und war es vielleicht der ehrfürchtige Gedanke an die Weihnachtsgeschichte, die Geburt der christlichen Religion und der ungeheuerlichen Botschaft, die mich demütig machte und mir eine tiefe innere Ruhe gab?
Alles vorbei, nur noch Erinnerung. Wertvolle, wunderbare Erinnerung. Erinnerungen, die ich verpflichtet bin, auch meinen Kindern zu hinterlassen. Und wenn es schon kein reines Fest der Christen für heutige Generationen mehr ist, so soll es doch weiterhin ein Fest der Liebe sein.
Und das ist doch auch christlich, oder?

© Peggy Wehmeier

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Im Monat Dezember hat der laotische Salon ein Thema: "Weihnachten der anderen Art".
Bekannte und unbekannte Autoren, habe ich dazu eingeladen, einen anderen Blick auf Weihnachten zu werfen.
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