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Für viele von uns, die seit Jahren in einer anderen Kultur leben, kommt der Tag an dem wir wieder zurückkehren, in das Land aus dem wir kamen. Zurück in unsere eigene Kultur. Selten sind wir darauf vorbereitet uns so fremd zu fühlen und so große Sehnsucht nach dem Land zu haben, dass wir eben erst verlassen haben. Über diese Erfahrung schreibt Jamie Zeppa.Auch wenn ich selbst noch nicht nach Deutschland zurück kehren werde, weiß ich wie es sein könnte, wenn es eines fernen Tages soweit sein wird.
Mehr über die Autroin siehe unteren Kasten.

Ich versuchte weiterhin, mit dem umgekehrten Kulturschock fertig zu werden: der Hässlichkeit von allem in der heimatlichen Kultur – der Stadt selber, der Hetze, dem Gedränge, dem Lärm und den Kaufhäusern voll nutzloser Dinge. Ich war außerstande, von etwas anderem zu reden als dem Land, das ich verlassen hatte. Alle Flüsse führen zum Meer, und für mich führten alle Themen nach Bhutan. Die am Esstisch geäußerte Bitte, das Salz herüberzureichen, führte unweigerlich zu einem einstündigen Vortrag:

Salz, Handel mit; zwischen Bhutan und Tibet;
Salz, Jodmangel; Jodsalzprogramme; Kröpfe und Kretinismus;
Steinsalz, ekliger Geschmack von;
Gesalzener Tee (Suja);
Sazstreuer, hässlich, in Thimphus Läden zu kaufen.

Jeder Heimkehrer schlägt sich damit herum: Was soll man mit dem Wissen anfangen, das man sich in einem Jahr, in fünf oder zehn Jahren mühsam erworben hat? Niemand ist daran interessiert, es gibt hier keine Verwendungsmöglichkeiten dafür. Man tut, was man sich geschworen hat, niemals zu tun: man fängt an zu vergessen.
Ein Jahr verging.  Ich begegnete einer Freundin, die acht Jahre in Afrika gewesen und gerade nach New York zurückgekehrt war. Sie bewegte sich, als hätte sie ein schweres Trauma erlitten: ganz langsam und steif, als würde sie bei einer einzigen jähen Bewegung zerbrechen. „Wie hasst du das bloß geschafft?“ fragte sie mich. Mir war gar nicht aufgefallen, etwas geschafft zu haben, doch als ich mir meine Freundin so ansah, wurde mir bewusst, dass ich, ohne es zu merken, die Verzweiflung der ersten Monate zu Hause ein ganzes Stück hinter mir gelassen hatte.
   Meine Freundin sagte, wenn sie aus dem Fenster sehe, ob zu Hause oder am Arbeitsplatz, blickte sie, im wörtlichen Sinne, immer nur auf Mauern. Irgendwann bemerke man das nicht mehr, sagte ich zu ihr. Irgendwann nehme man den Beton, die Verkehrsstaus und das ganze Elend nicht mehr wahr.
„Aber genau davor habe ich Angst“, entgegnete sie. Also sagte ich: „Du musst nach den winzigsten Bruchstücken von Farbe und Schönheit Ausschau halten und dich daran erfreuen. Zum Beispiel an den Tulpen da drüben auf dem Gehsteig ...“ Sie schaute weg. Auch ich versank in Schweigen. Als Ersatz für die Schönheit eines ganzen Kontinents bot ich ihr einen Plastikkübel mit Blumen an! Trotzdem waren die Tulpen schön, ihre satten kräftigen Farben, die aus sich selbst heraus leuchteten.  ( .... )
   Ich vermisse das Land sehr, selbst jetzt, und manchmal reise ich im Schlaf dorthin, fliege in Träumen über die dunklen Berge, erinnere mich an die tiefe Stille der dortigen Nächte, an das silbrige Dämmerlicht am Morgen und an all meine guten Freunde, die immer noch dort leben.
Jamie Zeppa, geboren 1964 in Kanada, ging nach ihrem Studium 1989 für ursprünglich zwei Jahre als Referentin nach Bhutan. Sie blieb dort, heiratete einen Bhutaner und zog 1993 mit ihm in die Hauptstadt Thimphu, wo sie als Lehrerin, Referentin beim WWF und Autorin arbeitet. In diesen Jahren schrieb sie Tagebuch. Aus ihren Tagebüchern wurde ein Buch: 
"Mein Leben in Bhutan".
Heute lebt sie mit ihrem achtjährigen Sohn in Pema Dorji, Toronto.

   Nach Haus zu kommen ist eine lange, lange Reise. Man steigt aus dem Flugzeug, setzt sich in seinen Wagen und fährt los. Ist das Zuhause ein industrialisiertes Land, bietet sich einem ein trostloses Bild. Natürlich gibt es in der Kultur der eigenen Heimat viele gute und schöne Dinge, aber man sieht sie noch nicht. Man sieht nur, was man, während man fort war vergessen hatte: Industriegelände, Fabrikschornsteine und Parkplätze. Grauen Himmel, graue Erde. Berge von rauchendem Müll und rostigem Blech. Haufen von Nichts. Es ist apokalyptisch. Dann, nachdem man monatelang durch dieses Ödland gefahren ist, gelangt man zu einer Mauer. Einer tristen, mehrere hundert Meter hohen Mauer mitten in der Einöde, und in Augenhöhe hängt ein Schild. Du steigst aus dem Auto, um es zu lesen. DU BIST ANGEKOMMEN, steht darauf. Wartend und hoffend stehst du an der Mauer. Vielleicht wird das Schild noch etwas anderes sagen. Vielleicht wird sich der Text nach unten verschieben und darüber das Wort AUSGANG erscheinen. Vielleicht wird sich das Schild in eine Tür verwandeln, und du wirst sie öffnen und hindurchgehen und am Fuße blauer Berge stehen, unter einem sich verdunkelnden Himmel. Doch es verschiebt sich nichts nach unten, und es öffnet sich nichts. Du wartest nicht länger und steigst wieder in den Wagen. Und was jetzt?
   Du bist diese ganze Strecke gefahren, bloß um zu einer Mauer zu gelangen und ein Schild zu lesen, und nun musst du diese trostlose Gegend noch einmal durchfahren. Weil du bei der ersten Durchquerung dachtest: Ich gehöre nicht hierher, dies ist nicht mein Zuhause. Jetzt musst du die gleiche Strecke zurückfahren und dich dabei fragen: Wie soll ich dies bloß wieder zu meinem Zuhause machen? Du bist so müde, nachdem du bis hierher gekommen bist, nur um zu erkennen, dass du wieder aufbrechen musst. Woher sollst du die Kraft dazu nehmen? Wie sollst du es schaffen, da hindurchzukommen?
   Du kannst es schaffen. Du wirst es schaffen. Denn wie bei allen Reisen gibt es keinen Weg zurück, nur einen Weg nach vorn. Und den musst du gehen.

Tashi Delek.
Jamie Zeppa
Toronto / Kanada, April 2001
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Wie es ist vorübergehend aus Bhutan zu kommen und dort hin wieder zurück zu kehren. Welche Veränderungen die eigene Wahrnehmung des Anderen, unbemerkt vollzogen hat. Eine graduelle Verschiebung des Blickwinkels und das Vertraute wird fremd.
Das Land seiner Geburt aus einem Abstand heraus betrachten zu können, ist ein großes Geschenk, dass allen zuteil wird, die einige Zeit in einer anderen Kultur, als der Eigenen, leben. Selbst und vor allem vielleicht deshalb, weil wir auch das Schwarze und Unvollkommene erkennen können. Fremd durch die eigenen Stadt zu gehen, oder eine Fremde innerhalb der Familie zu sein, ist auch schmerzhaft.
Darüber schreibt Jamie Zeppa in ihrem Buch auf den nun folgenden Seiten:

Zitat aus dem Buch; Mein Leben in Bhutan, Jamie Zeppa (S. 304 – 307):

   Zu Haus ist alles glitzern, poliert und unwirklich: Geschäfte mir Glasfronten, mit Lametta geschmückte Auslagen, die Gesichter der Menschen lauter glänzende Fassaden. In den Häusern der  Leute werde ich von den vielen Dingen erschlagen. Einen Großteil der Unterhaltung bekomme ich nicht mit, weil Mein staunender Blick dauernd zu dem Nippeskram schweift, der sich in den Regalen drängt, zu den mit Hunderten von Bildern, Posten, Kalendern, Uhren und Wandtellern bedeckten Wänden. Wohin ich auch schaue, überall ist irgendein Ding zu Sehen. Meine Augen werden ständig abgelenkt. „Wie bitte?“ frage ich dauernd. „Was sagtest du?“    Der Fernseher ist vollkommen verwirrend. Die Bilder kommen zu schnell aus dem Bildschirm herausgeschossen, Gesichtter Sätze, ganz Lebensläufe huschen vorbei, und ich lasse es geschehen; nach zehn Minuten Fernsehen brauche ich Stunden, bis ich wieder erholt bin. Im Haus meiner Tante ist das Gerät ständig an, und das ist unerträglich. Komm doch zum Abendessen, sagen sie. Also komme ich, und dann stizen wir gemeinsam vor dem Kasten, unsere Teller auf den Knien, während mein Onkel von einme Kanal zum anderen zappt. Da kommt ja gar nichts, meint er, schaltet aber trotzdem nicht ab. Draußen bringt mich der Verkehr aus der Fassung, das Gedränge, das Gehetze der Leute, Entschuldigung, Verzeihung, wollen Sie mit der Rolltreppe rauffahren, oder wollen Sie da nur rumstehen und mir den Weg versperren? Ein endloser Strom von Autos auf der Hauptstraße, alle fahren in dieselbe Richtung, in jedem nur eine enzige Person. Ich denke an all das verbrauchte Benzin, das ausgestoßene Kohlenmonoxid, das ausgegebene Geld, die sinnlose Verschwendung, ein Auto für eine Person. Als ich meiner Cousine vorschlage, mit dem Bus in die Innenstadt zu fahren, sieht sie mich entrüstet an. „Ich fahre doch nicht mit dem Bus“, sagt sie. Die Unmenge von Geschäften ist überwältigend, die Vielzahl der Dinge, die gekauft und verkauft werden, Dinge, die die Leute gar nicht brauchen und nicht einmal heiß ersehnen, aber aus irgendeinem Grund haben müssen. Obwohl ich noch nie ein Volkswirtschaftsseminar besucht habe, besteht für mich nach meinen Erfahrungen in Bhutan kein Zweifel, dass diese Wirtschaft nicht gesund ist und es so nicht weitergehen kann. Sie ist völlig außer Kontrolle, und das Geschwafel der Politiker, das die Familie, die Demokratie und die kleinstädtischen Werte mit den anonymen Kräften des Allmächtigen Freien Marktes in Verbindung bringt, ist vollkommen absurd.
   Ich tue nichts von dem, was ich zu tun gedachte – eine Kunstausstellung besuchen, ins Theater, in ein Dutzend Kinofilme gehen. Ich treffe mich mit Robert auf ein Bier; wie nicht anders zu erwarten, haben wir einander nicht viel zu sagen und sind froh, als unsere Gläser leer sind und wir uns mit höflichen Wünschen für ein fröhliches Weihnachtsfest und ein glückliches Leben verabschieden können. Ich klappere pflichtgemäß meine Familie ab: den Vater in Toronta, die Mutter und den Großvater in Sault Sainte Marie und verschieden andere Verwandte.
Ich wache am Morgen erschlagen auf und wandere ums Haus herum, unfähig, richtig durchzuatmen. Draußen bläst mir die heiße, verbrauchte Luft aus den Lüftungsschlitzen ins Gesicht, und drinnen sind alle Fenster abgedichtet, damit der Winter nicht eindringen kann. Es fällt mir schwer, die Fragen, die mir meine Familie zu Bhutan stellt, zu beantworten. Ich wette, du bist froh, wieder hier zu sein? Haben die Leute in der Dritten Welt Klopapier? Was zum Teufel benutzen sie dann? Hast du unser neues Auto / Wasserbett / Porzellan / Regal mit Dalmatinischem Wein / unseren neuen elektrischen Dosenöffner schon gesehen? Gibt es da drüben so was zu kaufen? Was machst du in deiner Freizeit? Danke für die Fotos, die du uns geschickt hast, mein Gott, was sind die Leute dort arm, oder nicht? Da bist du sicher froh, dass du hier geboren bist, oder? Da weißt du doch zu schätzen, was du hast, nicht wahr?
   Ich komme mir von Grund auf verändert vor, so wie sich Odysseus Schiff Stück für Stück veränderte, bis schließlich sämtliche Teile neu waren. Es verblüfft mich, dass die Leute hier nach zwei Jahren immer noch über diesselben Dinge reden, diese Tante noch immer nicht mit jener Nichte spricht, jene Nichte noch immer auf ein Segelschiff spart, Cousin Bill und seine Frau an diesen neuen, in Florida eröffneten Strand zu reisen gedenken, mal woandershin; wir haben dieses neueröffnete Einkaufszentrum in Edmonton besucht, das größte Einkaufszentrum der Welt, die haben da alles, was man sich nur vorstellen kann, Hotels, Schwimmbäder, Eislaufbahnen, es gibt nichts, was sie nicht haben; Mary hat geheiratet, und du hättest ihr Kleid sehen sollen, das hat sie um die viertausend Dollar gekostet, und die ganze Hochzeitsfeier dürfte die beiden fünfzehn-, zwanzigtausend Dollar ärmer gemacht haben, aber was soll´s, sein Alter hat Zaster.
   Die Leute reagieren unterschiedlich, wenn ich ihnen sage, dass ich Buddhistin geworden bin. Ein paar Freunde drücken Besorgnis aus, fragen mich, ob ich diesen Bhutan-Kram nicht ein wenig übertreibe; mein Bruder zeigt sich interessiert und leiht sich meine Dharma-Bücher aus, meine Eltern akzeptieren es, wenn meine Mutter auch ein wenig betrübt dreinschaut. Mein Großvater jedoch lehnt es rundweg ab. „Du solltest lieber keine Buddhistin werden“, sagt er jedes Mal, wenn das Thema Religion zur Sprache kommt.
   „Es ist mehr eine Philosophie als eine Religion“, erwidere ich.
„Der Buddhismus hat die gleichen ethischen Grundsätze wie das Christentum. Er ist nicht so fremdartig, wie du denkst.“ Er sagt, er wolle nichts davon hören. Die Leute sind ständig am Jammern. Die Regierung hat dies, die Regierung hat das, die hohen Kosten von allem, Inflation, Arbeitslosigkeit, Steuern. Vor fünf Minuten erzählten sie mir noch, wie glücklich wur uns schätzen könnten, hier geboren worden zu sein, wir hätten so viel, wir sollten dankbar sein, aber sie sind es nicht. Womit könnte man euch glücklich machen, möchte ich fragen, aber ich glaube, sie wüssten es nicht. Eine kleine Prise Buddhismus könnte hier einiges bewirken.

© (2001)Jamie Zeppa
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