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Gewalt ist die Grenze, die mitten durch die Moderne hindurchläuft, und sie bezeichnet jenen extremen Punkt, an dem Adornos Denken die Gegenwart berührt.
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Der wahre Konservative
Seine Negativität hat viele erschreckt. Mit Adorno ließ sich kein Staat machen. Heute überzeugt gerade seine Kritik am verordneten Optimismus
von    Thomas Assheuer*

Adorno, das stimmt, ist kein Zeitgenosse mehr. Sein Werk ist aufgeklärt worden mit dessen eigenen Mitteln, mit rückhaltloser Kritik. Nach Adorno ist keine Autorität mehr anzuerkennen, nicht einmal die Adornos. Heute verlieren sich die Spuren des Genies in den Seminaren, und mit der Feier seines 100. Geburtstages geht philosophisch eine Epoche zu Ende. Das Wunderkind kehrt ein in den Saal der Vergangenheit, in die Galerie der Giganten Kant, Hegel, Nietzsche, Heidegger. Und Adorno.

Schon zehn Jahre nach seinem Tod waren Adornos Gedanken außerhalb des universitären Sektors kaum mehr aufzufinden. Ihre Wirkungsgeschichte brach plötzlich ab, aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwanden sie fast vollständig, während die Kampagnen, die christkonservative Staatskanzleien und ihre angeschlossenen Publikationsorgane gegen ihn veranstalteten, munter weiter liefen. Einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts blieb auf die intellektuellen Milieus ohne größeren Einfluss. Der geniale Mann, dessen Einsichten von einer Subtilität sein konnten, die noch heute den Leser beschämt, fand keinen Nachfolger. Die Zeit schien über ihn hinwegzugehen, nur in der (Musik)Ästhetik riss das Gespräch nie ganz ab, wie das Echo auf Adornos nachgelassenes Beethoven-Buch und seine Theorie der musikalischen Reproduktion gezeigt hat. Eine neue Kritik an den „Pathologien des Kapitalismus“ sucht zarte Querverbindungen zu Foucault; von Judith Butler stammt eine bewegende Neudeutung seiner Ethik. Gerade haben einige Getreue ihn zum Vordenker von Hardt und Negris Buch Empire ausgerufen, obwohl deren Selbsterlösungsträume bei Adorno kaum anderes ausgelöst hätten als blankes Entsetzen.

Alles andere an Adorno mutet umso fremder an. Nachtschwarz ragen einige philosophische Ruinen in die Gegenwart. Nichts scheint mehr von der Geschichte überholt zu sein als Adornos Sätze über die Geschichte und die objektive Tendenz des Zeitalters. Schrecken verbreitet das Mahlwerk seiner Methode. Gespenstisch klingen die Sentenzen zum Weltlauf, sobald man sie aus dem Zusammenhang ihrer zeitlichen Entstehung herauslöst und die Verzweiflung vergisst, der sie entsprungen waren: „Die Welt ist ein System des Grauens.“ Oder noch so ein Satz, wie in Stein gemeißelt: „Aufklärung schlägt um in Mythos.“ Sie „verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen“.

Die Naturbeherrschung ist die Quelle allen Übels

Von solchen Großspekulationen ist heute nichts mehr übrig – oder mit einem Adorno-Wort: weniger als nichts. Ihr „Zeitkern“ liegt offen zutage. Was dennoch unbeschädigt überlebt hat, wurde vom Siegeszug der analytischen Philosophie und der Abkühlung von Wahrheitsfragen an den Rand gedrängt. Es war eine Befreiung, sich von Adornos Philosophie zu befreien, und es war ein Leichtes, auch das Schwierige abzuschütteln.
Und es war notwendig.
Niemand wird Adorno heute würdigen können, ohne an dessen wundesten Punkt zu rühren: daran, dass er das Freiheitsmoment der Demokratie auf absonderliche Weise unterschätzt hat. Der Grund dafür lässt sich genau benennen. Adorno war von dem Gedanken durchdrungen, die Unterwerfung der Natur und die Herrschaft über Menschen seien dialektisch ineinander verwoben. Was die Menschen der Natur antun, das tun sie sich selber an. An diesem Gedanken hängt alles, er galt für ihn absolut und bezeichnet das Herzstück seiner Philosophie. Adorno war überzeugt, dass sich die Unterwerfung der Natur in den gesellschaftlichen Zwängen und Herrschaftsverhältnissen reproduziert, und zwar in Formen unmerklicher Gewalt, auch gegen das eigene Leben. In seinen sozialen

Verhältnissen überdauert das Subjekt nur, weil es seine Triebe unterdrückt und sein Selbst verleugnet. Diese Herrschaft über die äußere und innere Natur verwandelt die Gesellschaft in den Kampfplatz einer instrumentellen Vernunft, die alles, auch den anderen Menschen, zum Objekt erklärt. Vom homerischen Odysseus, der sich an den Mast fesselt, um seine Leidenschaften ruhig zu stellen, bis zur Atombombe – in allem zeigt sich derselbe Wahn, die eine Logik, der eine herrschaftliche Geist im Prozess der Zivilisation.

In dieser Kraterlandschaft den Ort der Freiheit ausfindig zu machen ist nicht einfach. Denn wenn Naturbeherrschung und Menschenbeherrschung unauflöslich ineinander verflochten sind, dann greifen sie durch alle Verhältnisse hindurch, und es scheint nahezu gleichgültig, welche politische Verfassung sich ein Gemeinwesen gibt. Die Sphäre des Sozialen schrumpft zum Raum der Manipulation, bevölkert mit Ich-schwachen Individuen, beherrscht von finsteren Mächten, von Bürokratie und Kulturindustrie. In der Tat, das war sie, Adornos „verwaltete Welt“ mit ihrem „ausgebombten“ Bewusstsein, das mit Jazz, Reklame und Pop aufgefüllt wird bis ans Ende ihrer Tage. Entsprechend begegnete Adorno, zurück aus dem amerikanischen Exil, dessen Freiheit er bis zuletzt gegen alle „muffigen Ressentiments“ verteidigte, der deutschen Nachkriegsrealität mit äußerstem Misstrauen, bis in die Fasern seiner Existenz unsicher, ob die neue Freiheit sich nicht doch wieder als Teil jener uralten Naturbeherrschungsgeschichte enthüllt, die im absoluten Grauen, in Auschwitz, zu sich gekommen war.
Es war Jürgen Habermas, der in einer, man muss es so sagen: Fundamentalkritik kristallklar gezeigt hat, dass Adornos Denken in eine Sackgasse führt, in einen Selbstwiderspruch, der mit den Mitteln der Philosophie nicht aufzulösen ist. Adorno, so schrieb er 1981 in seiner Theorie des kommunikativen Handelns, könne die normativen Maßstäbe seiner Kritik nicht ausweisen und ziehe sich selbst den Boden unter den Füßen weg. Wie unter einem Brennglas ließ Habermas den lebensphilosophischen Gehalt des Werks verdampfen. Er durchschlug den dialektischen Knoten, mit dem Adorno die Herrschaft über die Natur mit der Herrschaft über Menschen verknüpft hatte. Nun war Adorno auch in Frankfurt ein Bergmann ohne Licht. Wer wollte ihm noch folgen?
Doch wie es so ist mit Aufklärungen, sie sind notwendig und decken auf, aber indem sie dies tun, decken sie anderes zu. Manchmal wird ihr Gegenstand kleiner, bis er ganz aus dem Blick verschwindet und es gar nichts mehr zu retten gibt. Vielleicht ist es heute sinnvoll, die Engführung von Demokratietheorie und Philosophie zu lockern, andere Schneisen zu schlagen und dort anzuknüpfen, wo Adorno den Wahn der Moderne einkreist, ihre Grenzen und ihre Gewalt. Vielleicht ist er nur noch dort verständlich, wo er uns heute am unverständlichsten scheint.

Zum Beispiel in seiner Vorstellung von einer unverfügbaren „Natur“. Adorno verstand darunter jenes unaufklärbare Substrat, das menschlicher Praxis vorausliegt und doch beständig ihrem Zugriff unterliegt. Wissenschaft und Technik setzen alles daran, ihren Machtbereich auszuweiten, sogar auf den opaken Grund des „Lebendigen“, also nicht nur auf die äußere, sondern auch auf die Natur des Einzelnen.

Das scheint heute ganz selbstverständlich. Doch gerade weil nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms die biologische Natur ins Fadenkreuz gentechnischer Programmierung geraten ist, erhält Adornos Versuch, Natur- und Menschenbeherrschung zusammenzudenken, eine düstere Aktualität. Denn der Eingriff in den unverfügbaren Rest des Lebendigen wird, wie inzwischen auch Habermas fürchtet, das Verhältnis der Menschen untereinander in Mitleidenschaft ziehen.

Die Gentechnik weitet den Interventionsbereich noch einmal aus und macht es möglich, dass Menschen den Rest unbestimmter Natur nach dem eigenen Ebenbild modellieren. Das wäre für Adorno eine ungeheuerliche Vorstellung gewesen, nachgerade die Selbstdemaskierung der modernen, auf Unterwerfung zielenden „Rationalität“.
Ihr blinder Wille, alles Fremde und Unbestimmte beherrschen zu wollen, verschiebt die Grenzen ins Ungeborene, in die Nichtidentität des Kindes.
Die Menschen würden sich nicht mehr als autonome Subjekte begegnen, sondern als unlebendig lebendige Designerprodukte ihres Willens, eben als Identisches.

Für Adorno wäre die Folge klar gewesen. Wenn sogar die innere Natur des Menschen ein technisch manipuliertes „Etwas“ ist, dann kommt der Bildungsprozess der Gattung zum Erliegen – die Herrschaft des Wissens über das „Lebendige“ ist total. In Adornos Augen wäre das aber nicht ein Menetekel der Freiheit, sondern ein Zeichen andauernder Unfreiheit, eine Deformation des „Geistes“. Deformiert ist der menschliche Geist, weil er sich absolut setzt und nicht frei ist, seiner Freiheit eine Grenze zu setzen. In ihm haust immer noch ein archaischer Zwang. Die Moderne ist nie modern gewesen.

Noch befremdlicher klingt in zeitgenössischen Ohren das, was Adorno als „Neutralisierung“ bezeichnet. Mit Neutralisierung ist das letzte Kapitel seiner Negativen Dialektik überschrieben, und man sollte es getrost als das lesen, was es ist: als Vermächtnis.
Auf den ersten Blick handelt es sich um die notorische Klage über das Übel der kapitalistischen Kulturindustrie und die Herrschaft der Reklame. Darüber müsste man kein Wort verlieren, sind doch Adornos Schwarzmalereien in den medial fortgeschrittenen Ländern längst Realität geworden. Wenn in den neoliberal enthemmten Kampfgesellschaften die TV-Shows dazu übergehen, sogar Arbeitslose dem Publikum zum Fraß hinzuwerfen, übertrifft dies so ziemlich alles, was Adorno sich an sensorischer Verrohung hatte vorstellen können.

Auch das Kasperltheater, das der italienische Regierungschef veranstaltet, ähnelt auf verblüffende Weise dem, was Adorno der Demokratie prophezeit hat: nämlich die mafiose Herrschaft aus Konzern und Clique. Berlusconi schafft sich ein paar Fernsehsender an, bricht ihnen das Rückgrat und lässt sie nach seiner Pfeife tanzen. Was ist das anderes als der berüchtigte „Verblendungszusammenhang“, als kulturindustrielle „Neutralisierung“? Und doch wäre es nur die halbe Wahrheit. Es ist eine typische Rezeptionslegende, wenn man behauptet, Adorno habe an der Kulturindustrie allein die politische Manipulation beklagt, die ferngesteuerte Erzeugung von Massenloyalität.

So unverständlich es klingt: Was er fürchtete wie kaum etwas sonst, das war die Neutralisierung von Überlieferungen, in denen die ersten und letzten Fragen des Menschen verhandelt werden. Adorno kritisiert die „bürgerliche Gesellschaft“ nicht nur, weil sie das Verhältnis der Menschen dem Tauschprinzip unterwirft; er kritisiert sie, weil sie einen schier unmenschlichen „Druck zur Anpassung“ ausübt und so verhindert, dass sich dem Einzelnen ein Bewusstsein von den „letzten Dingen“ eröffnet, ein Bewusstsein von Einsamkeit und Schuld, Krankheit und Tod.
„Die metaphysischen Interessen der Menschen bedürften der ungeschmälerten Wahrnehmung ihrer materiellen. Solange diese ihnen verschleiert sind, leben sie unterm Schleier der Maja.“

Das sind erstaunliche Sätze, und es wäre der intellektuellen Linken viel erspart geblieben, wenn sie ihren Spuren gefolgt wäre, anstatt sie soziologisch zu verwischen.
Adorno, der hier ein materialistisches und ein metaphysisches Motiv zusammenbringt, beurteilt eine richtige Gesellschaft nämlich nicht nur danach, ob sie frei und gerecht ist; er beurteilt sie nach dem Maß, inwieweit sie dem Einzelnen die Möglichkeit gibt, sich zum „Dringlichsten“ zu verhalten – und das war für ihn zuerst ein Bewusstsein vom „Unrecht des Todes“.

Der Tod, das war der Fels, an dem jede Utopie, jede kritische Theorie scheitern muss. Keine gesellschaftliche Besserung sei denkbar, die an den Skandal des Todes rührte oder ihn gar aus der Welt zu schaffen vermöchte.

Als der Soziologe Arnold Gehlen ihn einmal bestürzt fragte, ob er das dem Einzelnen wirklich alles aufbürden wolle, ganz ohne entlastende Institutionen, meinte Adorno: „Ich habe eine Vorstellung von objektivem Glück und objektiver Verzweiflung, und ich würde sagen, daß die Menschen so lange, wie man sie entlastet und ihnen nicht die ganze Verantwortung und Selbstbestimmung zumutet, daß so lange auch ihr Glück in dieser Welt Schein ist.“

Adornos Ethik lässt sich nicht von der Kapitalismuskritik trennen Mit diesem radikalen Verständnis von Metaphysik und Freiheit brachte Adorno, der unvorstellbar Konservative, den real existierenden Konservatismus zur Weißglut.
Radikal war dies, weil Adorno behauptete, erst unter den Bedingungen der Moderne zeige sich, was von der Metaphysik übrig geblieben sei. Und wenn etwas übrig geblieben war, dann musste es durch das Nadelöhr der Reflexion, und nichts sollte daraus unverwandelt hervorgehen, nachdem Auschwitz das Vertrauen in den Sinn der Geschichte zerstört habe.

Für die Hellhörigen hieß dies aber auch: Wer sich Traditionen, und das waren vor allem die ästhetischen, nicht zuerst aneignet, hat kein Recht, sie zu kritisieren. Durch Aneignung, also auch durch Kritik bleibt man an sie gebunden und erkennt in ihnen ein vorgängiges Wahrheitsmoment, um es „verwandelnd aufzubewahren“.

So harmlos er klingt, auch dieser Gedanke sprengt die Puppenstube der Konvention. Adorno behauptet allen Ernstes, das Schicksal der Gesellschaft hänge am seidenen Faden ihrer symbolischen Differenziertheit, dem Reichtum ihrer Kunst, Überlieferung und Sprache. Alles andere wäre leere Freiheit – die autistische Moderne hockt in der selbst errichteten Höhle und bestaunt die Bilder, die sie sich selbst an die Wand malt.
Damit müsste das Gerücht widerlegt sein, Adorno verharre im Negativen, in der Schwermutshaltung einer pessimistischen Weltsicht, die rundum nichts anderes erblickt als das Schwarz in Schwarz einer „absterbenden Kultur“.

Es stimmt zwar, Adorno hatte einen Affekt gegen das „positive Denken“, gegen jene Zwangskonformisten, die besinnungslos ja zu dem sagen, was ohnehin der Fall ist. Für ihn war ein Denken des Negativen produktiver, weil es der Reflexion Spielräume eröffnet.

Andererseits, und daran sieht man die Schwierigkeiten, die Adorno seinem Leser aufhalst, warnte er davor, das Negative zum Fetisch zu machen, zur Pose des Intellektuellen, der in einer Art Abschlagszahlung an die eigene Eitelkeit erst einmal nein sagt.
Die Minima Moralia, seine Reflexionen aus dem beschädigten Leben, sind bekanntlich der Ort, an dem Adorno ein Denken erprobt, das imstande ist, auch die eigenen Verneinungen zu verneinen. Die 1951 erschienene Sammlung mit Denkstücken handelt nämlich nicht einfach von dem „beschädigten Leben“, sondern davon, wie unter den Bedingungen, die wir vorfinden, richtig zu leben wäre. Sie sind eine Ethik.

Adorno, das hat Martin Seel gezeigt, duldet keine Ausflucht und will verhindern, dass wir uns auf das Negative herausreden, auf die Gesellschaft, das „Unwahre“ oder den Verblendungszusammenhang. Wie bedrängend die Welt auch sein mag, den Sinn für das richtige Leben, den „Traum eines Daseins ohne Schande“, darf man sich nicht abhandeln lassen.

Wer es dennoch tut, der spielt den Verhältnissen in die Hände, ihrem alles durchdringenden Tauschprinzip, der „erkalteten Lebendigkeit“ im „bürgerlichen Subjekt“.
Auch hier, auf dem Feld des Ethischen, geht es nicht ohne Paradoxien ab.
Adornos Ideal des gelingenden Lebens mündet in die subjektive Erfahrung von Freiheit – und gleichzeitig ist das, was er als Gelingen beschreibt, an die Zurücknahme ebendieser Freiheit gebunden, an Kontemplation und Gewährenlassen, überhaupt an ein passives Moment.

Die Zauberworte heißen Innehalten und Reflexion.

Das Falsche beginnt für ihn schon dort, wo man sich nichts anderes mehr vorstellt als das Leben, das man gerade führt.
Adorno glaubte wirklich, die Reflexion der Freiheit, die bloße Selbstbesinnung, reiche an das heran, was dem „Endlichen entrückt“ wäre. Demnach hätte die Freiheit ihre Würde darin, Autonomie zu mäßigen und sich zu „öffnen“ für „Hingabe“ und „Liebe“ – für Adorno die einzige Leidenschaft, der es nach dem gnostischen Sturz in die Welt gelingt, die fassungslose Trauer und „kranke Einsamkeit“ zu überwinden, „in der die ganze Natur befangen“ ist. „In nichts anderem als in der Zartheit und dem Reichtum der äußeren Wahrnehmungswelt besteht die innere Tiefe des Subjekts.“

Und dennoch wäre es ein Trugschluss, wenn man glaubte, Adornos Ethik ließe sich von seiner Kritik an der kapitalistischen Ökonomie einfach abkoppeln. Tatsächlich ist sie unauflöslich mit der Vorstellung von einer „richtigen“ Gesellschaft verbunden – einer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern nicht länger eine Härte und ein soziales Leiden aufzwingt, die, gemessen am sozioökonomischen Reichtum, überflüssig sind. In dieser geschichtlich längst möglichen Gesellschaft wäre Kapitalismus keine Religion, keine Ökonomie der weltlichen Erlösung, sondern „gerechter Tausch“.

Es hat nur ein Vierteljahrhundert gedauert, und der Gegenwart scheint das messianische Motiv, das in diesen Vorstellungen mitschwingt, ganz und gar fremd geworden zu sein. Denn eine Gesellschaft, die von ihrer inneren Gewalt erlöst ist, unterscheidet sich bei Adorno nur um ein Winziges von der realen; in ihr wäre alles anders, und es bliebe doch fast alles beim Alten.

Es sind solche Gedanken, in denen Adorno das Bilderverbot bricht und sich vorstellt, wie das gelingende Leben beschaffen sein könnte, eine Zivilisation ohne Schrecken, oder auf unsere Gegenwart bezogen: eine Weltgesellschaft ohne Terror.

„Der versöhnte Zustand hätte sein Glück daran, daß das Fremde in der gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt, jenseits des Heterogenen wie des Eigenen.“ In den Zeiten eines auftrumpfenden, in sich verhärteten „Westens“, in denen intellektuelle Debatten sich in der Frage „Kapitalismus oder Barbarei?“ auf ihren Tiefpunkt einpendeln, hat dieser Satz etwas Surreales. Unter dem Druck der Tatsachen scheint es undenkbar, ihn überhaupt zu denken. Aber er zeigt, welche Frage hinter dem Veralteten in Adornos Werk hervortritt: das Problem der Gewalt.

Gewalt ist die Grenze, die mitten durch die Moderne hindurchläuft, und sie bezeichnet jenen extremen Punkt, an dem Adornos Denken die Gegenwart berührt.
Allerdings, der Skandal der modernen Gewalt sprengt die Möglichkeiten der Philosophie und verweist auf das Ästhetische. Für Adorno bewahrt allein die Kunst ein bewusstloses Bewusstsein davon, wie der Gewalt Einhalt zu gebieten sei. Sie nimmt alle „Dunkelheit und Schuld der Welt auf sich“.
Als Adorno eines Abends Gäste hat, kommt es zwischen den Besuchern zu einem Streit, der auch mit Marx- und Engelszungen nicht zu lösen ist.
Adorno, der Anti-Tragiker schlechthin, steht auf, setzt sich ans Klavier – und spielt.

©  Thomas Assheuer

*Mein Dank  gilt Thomas Assheuer und Ruth Viebrock, von DIE ZEIT, die den Kontakt hergestellt hat.

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