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Salon im Net ein Online Projekt von Ilona Düerkop

Angelika Zöllner
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Ada Diekmann
schreibt regelmäßig für den Salon im Net. Letzte Kolumne
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Vorwort und Freitag Skizzen von Angelika Zöllner

Jeden Freitag gehe ich zu der alten Frau.
Manchmal waren es auch die Samstage und die Sonntage - bis ich spürte, dass Zuneigung und Herzgefühle allein nicht genügten.
Ich versuchte zu lernen, ihre Veränderungen anzunehmen, ohne dabei selbst das Atemland zu verlieren.
Immer wieder zog und zieht es mich zu ihr hin. Ich frage mich ob ich bis zum letzten Abschied lernen werde ihr beizustehen?
Wir hatten auch viele Sonnenstunden zusammen.
Manchmal ist sie unaushaltbar, und trotzdem liebe ich sie noch immer.

Freitagsskizze I

Als ich sie anklingele morgens, zwischen zwei Einkaufstüten-Touren und ein paar Schlucken aufgegossenem Fit-Mach-Espresso - weiß sie nichts mehr. Nicht, ob ich heute, morgen - oder gestern... zu ihr komme. Sonst ist sie nicht in ihren Sinnen verwirrt, meine liebe Alte. Aber, sie wird in ein paar Tagen 89 Sommer und Winter ; sie darf sich das doch erlauben.
Freitags gehe ich zu ihr. d.h., ich fahre - oder besser, ich schleiche - im 15 Std.-Kilometer-Stauschritt regelmäßig über die wochenendmäßig überbenutzte Autobahn.
Meist beginnt es ¾ Stunden vorher, dieses dunkel Beklommene, Enggezogene - irgendwo in der Körperrichtung, in der ich mein Herzdasein vermute.

Sie sieht kaum noch etwas von unserem bunt vorbeitönenden Leben; nur noch angedeutet Helles – und dunkelfarben; ungenaue Muster spannen vor ihren Augen. Auch ist heute Unfreundlichkeit um sie herum wie eine lose hängende Wetterjacke. - Anfangs habe ich mich manchmal wie ein verschrecktes Kind an jenen ungeduldigen Tagen gefühlt, weil sie jeden Handgriff in minutiöser Langsamkeit vorschrieb und misstrauisch – vermutlich ihrer mangelnden Blickschärfe wegen – kontrollierte.
Aber allmählich habe ich es besser gelernt. Wenn ich ihren sichelähnlich gebogenen Krummrücken in dieser fleckigen, schwarzen Wäsche vor mir sehe - das Gehwägelchen, welches sie vom Stürzen abhält und doch gleichzeitig in den engen Durchgangswegen als aufwendige Stolperfalle herumsteht - zieht sich mir regelmäßig etwas im Atem zusammen.
Keiner ihrer täglich wechselnden Helfer traut sich offensichtlich, ihr etwas von den Flecken zu sagen – den Graumalen auf dem Schwarz. Oder - dem Gilb in der Unterkleidung.
Während ich sie aufhänge, freitags, die nassen Gilbstücke, denke ich, es wäre doch ein Leichtes für sie, sich saubere, neue Kleidung kommen zu lassen. Ein Euro-Problem ist es nicht - ihre Rente stammt noch aus den wirtschaftlich ertragreichen Zeiten.
Manche in besonderem Design geschnittenen Jacken und die durchaus lockend hübsche Gestaltung einiger Nachthemden erinnern an frühere Zeiten - ihren wohl schon immer ausgewählten Sinn für erlesenen Stil und Französisches. Ja, sie war Künstlerin – ganz und gar – und vollkommen gegen den Willen der Mutter.

Ja, wir schweigen alle dazu.
Heute habe ich es mit einer aufgeblühten Pfingstrose versucht. Mit diesem Duft. Sie hat doch die Blütenblumen so geliebt, den dunklen Bauern-Flieder in lila hier z.B. auf ihrem Jugendstiltisch.
Sie hat gleich mit mir losgeschimpft, weil ich erst beim dritten Anlauf die schmalhohe Vase fand, an die sie gedacht hatte.

Als ich gehe, lasse ich ihr ein bisschen versuchten Frohsinn zurück. Sie spielt ihn mir auch ein bisschen vor, und ich tue, als ob ich ihr glaube. Aber - wir durchschauen beide dies letzte Spiel.

Mal wieder freitags...II

An jenem Freitag schrie sie mich an – kurz, überraschend, wie der Gewittereinfall vor ein paar Tagen bei weißgeflockter Schneedeckenpracht.
Ich schreckte bis ins Atemholen zusammen. Es war ohnehin schon eng da im winterlichen Brustkörper; kein Wundergefühl bei dieser Jahreszeit – und vielleicht bei so einem Job. Ich glaube, ich bekomme mindestens Hustentage, denke ich noch.
Es war schon zum zweiten Mal, dieses Anschreien - obgleich ich doch nur vorsichtig, meine Worte wie Seilschritte balancierend, angefragt hatte, um es ihr recht zu machen. Ob ich ihr HEUTE das Kartoffelnschälen abnehmen soll – oder, ob sie es selbst tun möchte? Das ist unterschiedlich an Tagen.
„Sie können das nicht“, sagt sie unwirsch, ihr Lieblingssatz in den schlechteren Stunden. Und ich sage jetzt nicht, wie lange ich schon Kartoffelnschälen geübt habe – aber es sind weit über 30 Jahre – und solang’ kann sie wohl heute nicht zählen... obwohl sie gar nicht dement ist, das nicht.
Ich kann angeblich auch heute kein Fleischgläschen im Kühlschrank finden – lieber isst sie keins - sie lässt mich nicht einmal an die Tür ran , vergisst, dass ich noch vor kurzem den ganzen Schrank von faulen Teilen entsorgt habe – und wie frohstimmig sie darüber war.
Ich schweige und denke, warum ist sie nur beim Vorlesen viel sortierter – wenn ich von der so sinnlos eingesperrten Camille Claudel berichte – oder von den Männermännern der Alma Mahler-Werfel, die alle eine umwerfende Kreativperiode hatten, während sie mit ihr schliefen.

Sie rudert mit den Armen, tastet mit den kleinen, Händen nach dem Gehwägelchen – ihr gebrechlicher, krumm gebogener Körper. Ich darf sie jetzt nicht liebevoll anfassen, um sie zu stützen, bloß nicht – obgleich ich das ein andermal immer rechtzeitig tun soll – und sie ja gefährlich hinfallen könnte - jetzt bloß nix verunstalten, sonst könnte alles zwischen uns wieder auf den Kopf in Oppositionsunwetter gestellt sein. Und ich, - ich - überlege blitzeilig in meiner schmalen Gedankenpalette von Möglichkeiten, was ich jetzt schon wieder nicht können kann, und ob ein Schweigen jetzt vielleicht die bessere Wegfreundin ist, ehe sie auch mich als „dämlich“ bezeichnet – wie so oft das Pflegedienstpersonal. Eine Hilfe zum Durchputzen hat sie auch nicht zur Zeit, und ich getraue mich gar nicht, ihr eine anzubringen; nach 4-6 Kurzwochen bleiben sie von alleine weg, mit Ausreden, die sich gleichen wie Synonymchen nebeneinander auf einer Tischdecke. So schippe ich stillschweigend die Klebekrümel in der Küche zusammen, stelle die Puschen beflissen an die richtige Stelle unter den Nachttisch, leere das Eimerchen und überlege, ob ich sie nach dem Blumenversorgen ihrer jetzt etwas vernachlässigten Lieblinge fragen soll. Meist sagt sie dann ‚ja’. Immerhin, ich kann ihr minutenlang ein wenig Gutes in die Wohnung säen, ohne dass sie mich in ihrer Ungeduld wieder unterbricht - mich atemverrückt und nervös macht.

Einmal puffte sie mich sogar, sodass ich fast über ihr Gehwägelchen in ein Ungewisses stolperte, obgleich ich doch besser sehe als sie. Sie nimmt nur noch Konturen auf von Räumen, Makulamuster, Menschenverschwommenes – es muss manchmal unaushaltbar sein.

Ich muss so oft vorher ahnen, was sie jetzt will. Unwirscht sie heute wieder mit mir?
„Das kann doch nicht angehen“, sagt Th., „dass du den Resttag nicht mehr zu gebrauchen bist, ... du musst dich wehren“.
„Aber sie ist doch fast 90“, sage ich und kämpfe nach ein paar Bettfluchtstunden doch noch mit dem Tränenwasser, das ich eigentlich nicht mehr nötig haben sollte in meinen Alter.
Mir ist noch tagelang schwer. Soll ich es ihr sagen? Soll ich wegbleiben? Soll ich mir eine Supervision bei einem Altenpfleger besorgen, der es gelernt hat??
Aber der Altenpfleger, an den ich denke – der sie kennt - und der wirklich sehr einfühlsam und ein Seelenmann ist – der ist neulich doch auch schon in sich zusammengeklappt und lag ein paar Wochen völlig pausennotwendig im Krankenhaus.
© Angelika Zöllner

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