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18. Oktober 2002
Graf Battistello von Luang Prabang
der vierte Brief

Meine liebe Claire

In Heidelberg feiert man die Wunder, die die Herzchirurgen zu Stande bringen. Längst hat sich die Lebenserwartung, von Menschen mit verpflanzten Herzen, von wenigen Tagen, auf Jahre verlängern können. Ich möchte ganz Schweigen von künstlichen Herzklappen, und ebensolchen Herzen.
In anderen Gebieten, desselben Planeten, werden Menschen mit gesunden Herzen erschossen.
Daran hat sich auch im Jahre 2002 nichts geändert.
Eine ebenso hoch geschätzte Freundin, wie sie es mir sind, hat mich noch vor Jahren, mit einem einfachen Satz, für lange Zeit aufgewühlt und erschreckt. Sie sagte: „Der Mensch ist nicht erhaltenswert!“ Danach schwiegen wir lange. In mir sträubte sich damals vieles in meinem Inneren, und ich war dennoch ergriffen, wie unaufgeregt sie diese Feststellung machte, sie sagte es so, als ob sie eine einfache Feststellung machen würde, etwa: „Morgen wird es regnen.“ Ich konnte ihr damals nicht zustimmen und bin auch heute noch weit davon entfernt, weil ich mich innerlich dagegen auflehne. Ich rufe mir all die Wunder ins Gedächtnis, die Menschen in so vielen Jahren vollbracht haben, nicht zu Letzt auch die Wunder in der Literatur. Sie sollen mir zur Hilfe kommen, gegen eine Erkenntnis, mit der ich nicht weiter Teil dieses Planeten sein möchte, würde ich sie erst akzeptieren!
Manchmal jedoch kommt mir die Verweigerung, wie eine innere Blindheit vor, die ich mir eines Schutzes gleich, anziehe, wie den schwarzen Trenchcoat, der mich nach draußen begleitet und mich vor dem Herbstregen schützt. Dann nämlich, wenn ich lese wie wieder über Krieg geschrieben wird, als sei er unausweichlich und nichts, dass uns davon befreien kann. Nicht die Erfahrung aus der Geschichte, die in Europa so gut dokumentiert ist, dass wir uns einen römischen Haushalt im Jahre 350 v. Chr. ohne weiteres Vorstellen können. Griechenland, die Wiege der Demokratie. Die Geschichte der Philosophie, in ihr begegnen wir Menschen, die ihre Gedanken ausformuliert haben.
Sokrates zum Beispiel, der die Menschen durchschaute und gerne in ihrer Mitte lebte. Er hat den Zweifel kultiviert, zur Philosophie erklärt und seine Schüler angehalten zu zweifeln.
Kehren wir denn jetzt, alle wie wir heute da sind, ins Dunkel zurück? In das nicht Wissen?
Liebe Claire, ich werde jetzt nicht über die Mängel der heutigen Jugend klagen, diese Klage ist schon alt und ein Mann wie Goethe, hat über die Jugend geklagt, in genau den selben Worten, die man auch Heute hören kann, es ist belustigend und erschreckend zu gleich, seine Klage an die Jugend, Heute zu lesen. Nein, keine Klage, wir haben die Verantwortung ja noch längst nicht an die Jugend abgegeben. Die Verantwortung für das was auf diesem Planeten geschieht tragen wir, auch wenn wir vorgeben, hilflos zu sein, oder blind. Ein alter Satz fällt mir ein: „Wir haben die Erde, von unseren Kindern nur geliehen.“

Die Sorgen der Welt haben mich heute abend ergriffen und ich finde keinen Trost, in meiner Bibliothek, dem prasselnden Feuer im Kamin und den herrlichen Blumen, die sie mir heute zum Abschied geschickt haben. Ein wundervoller Strauß und die weiße Lotusblüte inmitten dieser Farbexplosion, ist ihr besonderer Gruß an mich, der ich aus dem Land der Lotusblüte komme. Sie ist fest verschlossen und birgt kein Geheimnis, welches ich nicht wüsste.

Ihren Entschluss nach London zu reisen, findet meinen Beifall. Ich bedaure es nicht, dass sie mich im November nicht auf meinen Landsitz besuchen werden. Weiß ich sie doch nicht weiter entfernt, als der nächste Briefkasten. Und ich liebe schon jetzt die Briefe, die sie aus London an mich senden werden.
Die vielen Worte die sie gefunden haben um ihr bedauern auszudrücken, waren gänzlich überflüssig. Ich möchte sie bitten, sich nie wieder soviel Mühe zu geben, dies war ein ganz unnötiger Brief und ich bedaure die Zeit, die sie dazu verwendet haben, ihn zu schreiben. Soviel Wichtiges blieb ungesagt.
Wer bin ich denn, wenn all diese Worte, Entschuldigungen gar, notwendig wären?

Liebe Claire dies ist der erste Brief ihrer Hand gewesen, der unsere Freundschaft nicht kennt!
Ich hoffe sehr,  ihre liebe Mutter, ist dank ihrer Pflege bald wieder wohl auf und sie können die Spaziergänge, an ihrer Seite, bald wieder aufnehmen.

Meine besten Wünsche an ihre liebe Frau Mutter
Graf Battistello von Luang Prabang




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Graf Battistello von Luang Prabang schreibt seit 2002, seine nachdenklichen Briefe an Claire.
Die meiste Zeit lebt er in Berlin, in einer großzügigen Stadtvilla.
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