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Salon im Net, den 5. Febraur 2004
ein Online Projekt von Ilona Duerkop
Wolf Biermann, in DIE ZEIT: "Ich habe einen Traum", siehe weiter unten. Lesenswert auch dies!
Zitat aus DIE ZEIT: Ich habe einen Traum (siehe weiter unten): "Erwachsen wurde ich also erst in der zweiten Hälfte meines Lebens. Ich kann mich nicht mehr Kommunist nennen. Der Traum ist gescheitert. Das heißt aber nicht, dass wir uns verpissen dürfen in ein bequemes Spießerleben. Wir sollen und wollen uns tapfer einmischen, anderen beistehen, immer wieder versuchen die Gesellschaft zu verbessern, und diesen guten und ewigen Menschheitstraum treu weiterträumen."

Rede an meinen Sohn


Wolf Biermann

1
Kind
  Du mein Herzkind, großer Kerl
     ja, es ist Krieg, `s ist Krieg! Und ich
      dein eigner Vater, ich begehre
Krieg
  begehre Schuld daran zu sein, und bin´s!
     Gewaltgläubig, wie ich, will sagen: ward
        wurd manches Menschenkind, und von
Geburt
  an bleibt´s mir ein für alle Male eingebrannt
     im Feuersturm in Hammerbrook
       da lag ich unterm Bombenteppich mit
Mama
  die Royl Air Force spielte Sodom und Gomorrha
     am Elbefluß. Die Rache-Engel suchten meine Mörder
       und trafen mich! mit Phosporbomben. Tausend
Tode
   starben wir. So lernte ich die Schwäche für
     das Starke. Feuer bin ich, ja! und Flamme für das
        Treffende, fürs Argument – ach! auch der Waffen

2
Sieg!
   Heil! trompetet auf der Siegessäule in Berlin
     die Gold-Else mit Stummelflügeln immerzu
       das alte Lied: Wir treiben nur nur nur nur … und nur den
Krieg
   nur um des wahren Friedens will´n. Brutal im beat
     der Love Parade sah ich die Siegesgöttin
        als DJ-Queen und vermummt im rave der Massen
Heil
  Dir im Techno-Sound. Echt blattvergoldete
     Kanonen-Rohre, sie umgürten wie die Orgelpfeifen
        den hohen Stein im Tiergarten, dort wo dem
Baum
   die Grundwasser ausbluten in die Gruben und
      gigantisch Bierpiß, Cola-Piesel, Regenwasser
         geschifft von oben her aus der Ekstase in dem
Tanz
   froh abgejaucht beim Chill Out, Dienst ist
      Schnaps und Schnaps ist Dienst, so lallen
         die Marschierer, Herzschlag doppelt, wenn die
Waffen
   reden, müssen alle Musen schweigen, ja so sagt man
     lieber Sohn, und ich, ich sag es auch, jedoch
       hab ich nur eine Waffe, und das ist das Wort.

3
Sag mir
   Sohn, wie also kann ich schweigen zu all dem
     Gemetzel. Und nicht Gutmench kämpft da gegen
         Schlechtmensch- Schwarz-Weiß will ich vor dir
Farbe
   ja bekennen, Kind. In der Berliner S-Bahn sah ich
     zehn Weißhäutige, die ohne viel Geschrei zwei
        Dunkelhäutige solid zusammenschlugen. Meine
Augen
   wandten sich aus Todesangst von dem da ab: meine
      Gitarrenfingernägel an der Rechten dürfen doch
          nicht brechen. Wäre ich wie Du beim Bund bis an die
Zähne
   schwer bewaffnet – ja, ich hätt mir den Kanaken-Klatschern
      knallhart – Schuß ins Knie! – verhandelt! Notbremse!
         Bahnhof Gesundbrunnen – Oranienburger. Wer klatscht
Beifall
   nun für diese Völkerklatscher auf´m Balkan? Jelzin klatscht
      und Handke, Saddam Hussein, Sharon, so Siedler klatschen
         in der Westbank. Auf dem Alex filmt die Tagesschau IM
„Notar“
   den flotten Spitzel, wie er Friedensphrasen feuert
      wie er´s Wort da redet einem faulen Frieden vor
         Kadaver-Kadern und riskiert die falsche Lippe

4
Söhnchen
   Sohn, laß meine Menschen mich auch in dieser Not
      beim Namen nennen. Kommt, ihr alle! Auferstehet!
         Steht mit bei wie dermaleinst im Weltkrieg-Schlachten
Iwan
    Rotarmist, halb Kind mit der Kalaschnikow – für mich
      vor Stalingrad verblutet in dem Schnee beim großen
         Kesselschmieden für die Wehrmacht in dem Kessel
Du! GI
    aus Minnesota, Land des Loon. Wie könnt ich dich vergessen
       hieltest du für mich im Drahtverhau deine Gedärme
          in den Händen fest am Strand der Normandie
Hirsch Glik
    Poet und Partisan in Polen ließ den Nachschub-
        Panzerzug mit einer Ladung Dynamit entgleisen, ja
            für mich und meinesgleichen ging den allerletzten
Weg
   er gegen diese Würger Freiheit! und dir Menschenrecht!
      Dir Jidischkeit, dir Poesie – ich zähle doch die Toten!
          denn dir Vaterland ist jeder einzelne zu viel gefallen

5
Krieg
   `s ist Krieg. Und ich weit ab – ich werde jetzt
       den Teufel tun und unserer Putzfrau gute
          Gründe schwatzen in die wunde Seele, will
Nicht
    richten über Schuld und Unschuld ihrer Leute
       die die Schlacht vom Amselfeld jetzt noch mal
           schlagen gegen Menschen auf der Flucht
Tod
    müde beugt die Frau sich über unsre Badewanne
      seufzt, sie scheuert still den Fettrand weg. Sie
          fürchtet um den Sohn in Belgrad, wenn die
Boden
   kämpfe losgehn, werden sie ihn ziehn. So
      weint sie sich die Augen aus. Voll Scham
          schielt hin zu der Kanonenfutter-Mutter
Wolf
   Biermann mit den müden Vateraugen. Krieg,
      ja Krieg, mein Sohn, `s ist Krieg! und ich,
         Dein eigen Fleisch und Blut, begehre
Schuld
   zu sein, mein Einziger! geliebter Sohn. Wenn du
      von dort zurück mir kommst im Plastiksack, dann
         weiß ich, wer den gerechten Krieg verloren hat.
© Wolf Biermann
 

Wolf  Biermann, am 15. November 2001 für DIE ZEIT Nr. 47:
Auszüge aus: Ich habe einen Traum

Ich bin als Kommunist in diese Welt geboren worden. Das ist ein großes Privileg, über das ich noch heute glücklich bin. Wenn ich fromm wäre, würde ich sagen: für das ich dankbar bin. Ich wüsste nur nicht, wem. Ich wurde in dieses Nazideutschland geboren als Sohn eines kommunistischen jüdischen Arbeiters. Mein Vater wurde drei Monate nach meiner Geburt verhaftet, vom Volksgerichtshof als Hochverräter verurteilt und 1943 in Auschwitz ermordet.
Meine Mutter hatte den Ehrgeiz, Adolf Hitler zu besiegen. Das konnte sie nur auf einem sehr kleinen Schlachtfeld: Sie wollte, das ich am Leben bleibe; und sie wollte das ich Kommunist werde wie mein Vater. Wie sie es in ihrer kindlichen Sprache nannte: Ich sollte meinen Vater rächen. Ich sollte also den Traum vom Kommunismus verwirklichen. Dieser Traum war von Anfang an das Fundament meines gesamten seelischen Haushalts. Er war der tiefere Grund, warum ich mit 16 Jahren von Hamburg in die DDR übersiedelte und mich in meiner Verträumtheit kindlich wunderte, dass mir Millionen Menschen entgegenkamen, die alle den umgekehrten Weg gingen.
Mein Traum gab mir die Kraft, mich mit den unvermeidbaren Widrigkeiten einzulassen, die mich in der DDR erwarteten. Anfangs glaubte ich noch, ich hätte denselben Traum wie die Bonzen der Partei, und nur die Traumdeutung unterscheide uns. Ich dachte: Darüber kann man doch reden, Genossen – wir wollen doch dasselbe. Dann aber merkte ich, dass uns nicht nur die Interpretation trennte. Der Traum, den Karl Marx hatte, war das humane Gegenstück zu diesem realen Alptraum. Wenn Marx durch eine Manipulation der Weltgeschichte das Pech gehab hätte, in der Zeit des so genannten Stalinismus zu leben, also in der DDR, dann hätten die SED-Bonzen ihn totgeschlagen, noch vor jedem anderen. Mit totalitären Menschheitsrettern, die davon leben, dass sie das Volk noch mehr ausbeuten, als die Kapitalisten es tun – mit denen gibt es keine Möglichkeit, sich über Traumdeutung zu verständigen. Als ich das begriffen hatte, wurde ich der, der ich damals noch gar nicht war: der Biermann. Meine Lieder wurden radikaler, die Gedichte gingen tiefer. Das Verbot, das mich zu meinem 29. Geburtstag wie ein Geschenk der Hölle erwischte, war kein Missverständnis. Ich hatte es mir endlich verdient.
[….]
Ich brauchte noch ein paar Jahre im Westen, bis mir allmählich dämmerte, dass ich mit meinem Traum vom wahren Kommunismus in die Irre laufe.
[….]
Erwachsen wurde ich also erst in der zweiten Hälfte meines Lebens. Ich kann mich nicht mehr Kommunist nennen. Der Traum ist gescheitert. Das heißt aber nicht, dass wir uns verpissen dürfen in ein bequemes Spießerleben. Wir sollen und wollen uns tapfer einmischen, anderen beistehen, immer wieder versuchen die Gesellschaft zu verbessern, Und diesen guten und ewigen Menschheitstraum treu weiterträumen. Wir träumen ihn ja,  seit wir von den Bäumen runter sind; ich kann mich genau daran erinnern: den Traum von der Revolution gegen Unrecht und Unterdrückung, den Traum den der Commune de Paris von 1871. Die Krücke des kindischen Traums vom Paradies, in dem der Löwe dem Schaf das Gras wegfrisst, die brauche ich nicht mehr zum Laufen.
Solche Menschen, die am Anfang in der Weltgeschichte als Kommunisten rebellieren, waren die tapfersten, aufrichtigsten, die ich mir vorstellen kann. Leute, die sich dann Kommunisten nannten und das Unglück hatten, an die Macht zu kommen wurden Verbrecher, Massenmörder, Heuchler. Leute die sich heute noch Kommunisten nennen, sind in der Regel solche, die niemals Kommunisten waren. Das sind die falschen Witwen, die ie mit Lust im Blut, nie mit Orgasmen mit dem Kommunismus im Bell gelegen haben: politisch impotentes Pack.
© Wolf Biermann

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